Kein absoluter Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer

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Schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte haben es am Arbeitsmarkt oft schwer. Der Gesetzgeber hat die besonders hohe Schutzwürdigkeit dieser Personengruppe erkannt und reagiert zum Ausgleich mit einem besonderen Kündigungsschutz. Damit soll verhindert werden, dass die Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung entlassen werden. 

Eine Kündigung ist dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.

Hier haben wir die wichtigsten Informationen zum Thema zusammengefasst. Mehr erfahren Sie in unserem Artikel zur Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

Was bedeutet „besonderer Kündigungsschutz“?

Besonderer Kündigungsschutz bedeutet, dass der Arbeitgeber schwerbehinderte Arbeitnehmer oder ihnen Gleichgestellte nicht ohne Zustimmung des Integrationsrates und ohne Bekanntgabe des Kündigungsvorhabens gegenüber der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat kündigen kann. Eine Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne die Zustimmung des Integrationsamtes ist grundsätzlich unwirksam, selbst wenn die Kündigung dem Grunde nach rechtens wäre.

Unkündbar sind schwerbehinderte Arbeitnehmer hingegen nicht.

Für wen gilt der besondere Kündigungsschutz?

Der besondere Kündigungsschutz gilt für Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis und dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland, unabhängig von der Größe des Unternehmens und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. Das gilt auch für die Probezeit. Der Arbeitgeber muss auch während der Probezeit prüfen, ob nicht doch ein milderes Mittel als die Kündigung in Betracht käme.

Wann gilt man als schwerbehindert?

Um den Umfang einer Behinderung einzuordnen, wird im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung der Grad der Behinderung auf einer Skala von 0 bis 100 gemessen (GdB). Ab 20 %GdB spricht man offiziell von einer Behinderung.

Gem.  § 2 Abs. 2 SGB IX liegt eine Schwerbehinderung erst bei einem Grad von mindestens 50 % (GdB) vor. Einen Antrag zur Feststellung eines Behinderungsgrades kann man beim Versorgungsamt stellen.


Menschen mit einem Behinderungsgrad von mind. 30% aber weniger als 50% können dem besonderen Kündigungsschutz auch unterfallen, wenn auf Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit eine Gleichstellung mit einem Schwerbehindertengrad festgestellt wurde. Eine Gleichstellung erfolgt i.d.R., wenn die Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung keine geeignete Arbeitsstelle finden oder eine vorhandene Arbeitsstelle aufgrund der Behinderung gefährdet erscheint.

In welchem Zeitpunkt muss eine Schwerbehinderung vorliegen?

Um einen Sonderkündigungsschutz auszulösen, muss die Schwerbehinderung amtlich festgestellt oder offenkundig sein. In Ausnahmefällen kann ein bereits gestellter Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung ausreichen, sofern der Antrag mind. 3 Wochen vor Bekanntmachung der Kündigung gestellt wurde. Sollte dann der Antrag zu einem späteren Zeitpunkt positiv entschieden werden, wirkt die Feststellung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung.

Wann ist eine verhaltensbedingte Kündigung möglich?

Ist das Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers der Grund einer Kündigung, so verliert der besondere Kündigungsschutz seine Schutzwirkung. Bessert sich sein Verhalten nicht, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach Zustimmung des Integrationsrates durch eine ordentliche Kündigung beenden. 

In besonders gravierenden Fällen mag dem Arbeitgeber sogar die Zusammenarbeit bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar sein. Nur dann kommt eine außerordentliche fristlose Kündigung in Betracht. 

Bei der außerordentlichen Kündigung hat der Arbeitgeber das Integrationsamt innerhalb von zwei Wochen zu informieren. Reagiert das Integrationsamt nach Bekanntmachung nicht innerhalb von 14 Tagen, gilt das Schweigen als Zustimmung der Kündigung.

Gründe für eine verhaltensbedingte Kündigung sind beispielsweise:

  • unentschuldigtes Fehlen
  • Störung des Betriebsfriedens
  • verspätete Krankmeldung
  • Nichtvorlegen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
  • Diebstahl

Bei Vorliegen dieser verhaltensbedingten Kündigungsgründe werden die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat eingeschaltet.

Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung möglich?

Auch eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen ist nicht ausgeschlossen. Sie hängt allerdings ebenfalls von der Zustimmung des Integrationsamtes ab. 

Schon der allgemeine Kündigungsschutz stellt hohe Anforderungen an die betriebsbedingte Kündigung eines Schwerbehinderten. So hat der Arbeitgeber vorrangig diejenigen Mitarbeiter zu kündigen, die eine Entlassung am ehesten verkraften können (sog. Sozialauswahl). Menschen mit Schwerbehinderungen sind hier besonders schützenswert.

Das Integrationsamt wird der Kündigung nur zustimmen, wenn keinerlei zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen verbleibt. Außerdem darf die betriebsbedingte Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung stehen – der betriebliche Grund also nicht bloß vorgeschoben sein. 

Wenn das Unternehmen oder der Betrieb schließt, soll die Behörde sogar zustimmen. Voraussetzung ist, dass das Gehalt nach der Kündigung drei Monate weitergezahlt wird. In der Regel ist dies wegen der Kündigungsfrist ohnehin der Fall.

Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung möglich?

Auch eine Kündigung wegen Krankheit (bzw. der Schwerbehinderung) hängt von der Zustimmung des Integrationsamts ab. 

Der Arbeitnehmer ist darüber hinaus durch folgende Aspekte geschützt: 

  • Negative Prognose: Arbeitgeber dürfen nur kündigen, wenn die Krankheit auch in Zukunft die Arbeitsleistung beeinträchtigen wird. Fehlzeiten in der Vergangenheit sind dabei nur ein Indiz. Die ärztliche Prognose für die Zukunft ist entscheidend.
  • Interessenabwägung: Die Arbeitsunfähigkeit muss die betrieblichen Interessen überwiegen. Es dürfen keine alternativen Lösungen wie eine Versetzung vorhanden sein.
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Arbeitgeber sollten ein BEM anbieten, um Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung zu besprechen. Die Ablehnung des BEM erhöht den Begründungsaufwand für eine Kündigung vor Gericht.

Was gilt, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat?

Sofern der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat, muss der schwerbehinderte Arbeitnehmer dem Arbeitgeber spätestens 3 Wochen nach Zugang der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft oder den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung nachweisen. Lässt der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Frist verstreichen, kann er sich nicht mehr auf den besonderen Kündigungsschutz berufen.

Was macht das Integrationsamt bei der Kündigung eines Schwerbehinderten?

Das Integrationsamt dient der Einhaltung des besonderen Kündigungsschutzes des schwerbehinderten Arbeitnehmers. Sie prüft in einem Zustimmungsverfahren, aus welchen Gründen der Arbeitgeber den Schwerbehinderten oder Gleichgestellten kündigen will. Dabei darf die Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Behinderung des schwerbehinderten Arbeitnehmers stehen. Das Integrationsamt hat bei seiner Entscheidungsfindung alle für den Fall relevanten Umstände zu berücksichtigen:

  • Aus welchem Grund will der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen?
  • Welche Gründe wendet der schwerbehinderte Arbeitnehmer ein?
  • Welche Informationen liefert der Betriebsrat?


Wann ist die Zustimmung des Integrationsamtes nicht notwendig?

Eine Zustimmung des Integrationsamtes ist nicht notwendig, wenn

  • der Arbeitnehmer selbst kündigt
  • sich die Parteien auf einen Aufhebungsvertrag einigen
  • das Arbeitsverhältnis befristet ist und nach Fristablauf beendet wird
  • der schwerbehinderte Arbeitnehmer das 58. Lebensjahr vollendet hat und Anspruch auf eine Abfindung hat


Was passiert, wenn das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilt?

Sofern das Integrationsamt keinen Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und dem Kündigungsgrund des Arbeitgebers nachweisen kann, wird die Zustimmung zur Kündigung erteilt. Erfolgt die Kündigung verhaltensbedingt, liegt nicht notwendigerweise ein Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und der Kündigung vor. Bei betriebsbedingten Kündigungen ist das Ermessen des Integrationsamtes jedoch eingeschränkt.

Gegen die Entscheidung des Integrationsamtes kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer Widerspruch einlegen. Sollte der Widerspruch keinen Erfolg haben, besteht noch die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Entscheidung des Integrationsamtes zu erheben. Parallel dazu besteht auch die Möglichkeit, eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben, um die Unwirksamkeit der Kündigung auch aus anderen Gründen feststellen zu lassen. Denn neben dem Sonderkündigungsrecht besteht auch noch der allgemeine Kündigungsschutz.

Wie reagiere ich auf eine Kündigung trotz Schwerbehinderung?

Haben Sie trotz Schwerbehinderung oder Gleichstellung eine Kündigung erhalten, dann muss zunächst festgestellt werden, ob die Zustimmung des Integrationsamtes vorliegt oder nicht.

Je nachdem, wie schnell das Integrationsamt reagiert, kann es bis zu einem Monat dauern, sodass eine Kündigung entsprechend erst später ausgesprochen werden kann. Um vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen, sollten Sie sich möglichst schnell um eine amtliche Anerkennung Ihrer Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung kümmern. Nach Bekanntmachung der Kündigung haben Sie 3 Wochen Zeit, um beim zuständigen Arbeitsgericht eine Feststellungklage einzureichen. Bereits beim Anhörungsverfahren besteht die Möglichkeit, den Arbeitgeber von der Rücknahme der Kündigung zu überzeugen.

Liegt jedoch eine Zustimmung des Integrationsamtes vor, haben Sie 3 Wochen Zeit beim, zuständigen Arbeitsgerichteine Klage gegen die Kündigung zu erheben. Zusätzlich müssen Sie innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids Widerspruch beim Integrationsamt einlegen.

Fazit:

  • Schwerbehinderte sind durch ein formales Verfahren vor Ausspruch einer Kündigung besonders geschützt, jedoch nicht unkündbar.
  • Der besondere Kündigungsschutz gilt für Schwerbehinderte und Gleichgestellte, unabhängig von ihrer Position im Unternehmen und gilt für jedes Unternehmen.
  • Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Kündigung das Integrationsamt um Zustimmung bitten.
  • Das Integrationsamt hat einen Monat lang Zeit, den Fall umfassend zu bearbeiten.
  • Bei Erteilung der Zustimmung und Kündigung bleibt dem Betroffenen die Möglichkeit, einen Widerspruch gegen die Zustimmung des Integrationsamtes einzulegen, sowie eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben.


Befürchten Sie wegen Ihrer Schwerbehinderung gekündigt zu werden oder drohen Ihnen Konsequenzen im Arbeitsleben? Egal, ob eine Zustimmung des Integrationsrates vorliegt oder nicht – wir empfehlen Ihnen die Beratung eines Fachanwaltes. Kontaktieren Sie uns gerne per Telefon und erhalten Sie eine kostenlose Ersteinschätzung Ihrer Situation.

Foto(s): absolutvision on unsplash.com

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